Der domestizierte Mensch

Ein entscheidender Unterschied zwischen Hund und Wolf ist, dass der Hund gelernt hat, den Menschen für sich einzuspannen, zu Nutze zu machen - denn die Domestikation war keine Einbahnstraße. Schon bei Welpen zeigt sich dieser Unterschied deutlich: Wölfe, auch aus Handaufzucht, versuchen, ihre Probleme selbst zu lösen. Hunde dagegen wenden sich an den Menschen.

Ich hatte vor ein paar Tagen ein Erlebnis, das mir das deutlich von Augen geführt hat. Im Supermarkt, zwischen den Regalen und hektisch herumrennenden Menschen - eine kleine Hündin. Mit jagdhundetypischer grau-schwarzer Zeichnung, ein bisschen moppelig, ohne Halsband. Stand da ganz still. Bemüht, nicht im Weg zu sein, vorsichtig, eher scheu, beobachtete sie die Menschen ganz genau. Bis endlich einer zu ihr schaute. Das war ich dann.

Sobald sie meine Beachtung spürte, wurde ich sehr, SEHR eindringlich angeschaut. Ein tiefer, langer, ernster und vielsagender Blick. Die kleine Hündin wollte sich nicht anlocken oder anfassen lassen, war nicht verängstigt oder verstört - sie war einfach ratlos und wollte den Weg nach draussen gezeigt bekommen. Sobald ich zu ihr sagte: Na dann komm! folgte sie mir durch das Gänge-Labyrinth, bis sie die automatischen Glasschiebetüren sah und huschte dann, sobald sie aufgingen, hindurch.

Draussen saß Herrchen - ein Obdachloser, der gerade anfing, sich zu wundern, wo sein Hund geblieben war.

Ich fand diese Begegnung faszinierend. Wie klar und deutlich die zurückhaltende kleine Hündin nur mit einem Blick mitteilen konnte, was sie wollte. Wie sie sofort erkannte, dass ich sie verstanden hatte und mir folgte. Wie sie die Menschen beobachtet hatte, um herauszufinden, wer ihr wohl helfen würde, wenn sie selbst nicht weiter weiß...


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