Hör doch einfach auf dein Bauchgefühl!



Heutzutage sind die Menschen so weit weg von der Natur. Jahrhundertelang hatte der Mensch Hunde und brauchte kein einziges Hundebuch. Hundeerziehung ist doch inzwischen viel zu verkopft!

Ja, wenn es doch so einfach wäre. Der ganze Kram mit der Natur ergibt nicht wirklich Sinn, wenn man nicht vor hat, mit dem Hund fortan in einer Höhle zu leben und Mammuts jagen zu gehen. Unsere Umwelt ist nun mal keine wilde Natur. Und ehrlich gesagt fragt man sich, wie weit es mit der Naturverbundenheit her ist, wenn dann der von Menschen gezüchtete und geformte Rassehund (vorzugsweise ein Rhodesian Ridgeback oder Weimaraner oder was anderes schickes, modisches...) in den SUV gepackt wird, um von der Hundewiese zurück ins geheizte Einfamilienhaus zu brausen. Wo es mit Sicherheit gemütlicher ist, als in der Höhle. Auch für den Hund. Natur ist toll, aber bitte nicht zu viel davon.

Die Jahrhunderte, Jahrtausende, die der Mensch schon Hunde hält, und das ganz ohne Hundebuch, da ist doch aber was dran, oder? Sicherlich. Wer aber sagt denn, dass das alles immer so wunderbar war?
Hunde waren Nutztiere. Woraus schon mal folgt, dass sie entsprechend ihrer Eignung eingesetzt wurden (heute würde man das "Auslastung" nennen). Man erwartete von dem Hund, dass er seine Aufgabe erledigt, und was nicht taugte, kam weg. Die Frage, ob es dem Hund besonders gut geht, stand bei der Haltung nicht im Vordergrund.
Heute haben Hunde viel seltener eine Aufgabe, und noch seltener eine, die zu ihnen passt. Statt dessen sind sie heiss geliebte Hausgenossen und Familienmitglieder, reiner Luxus, Hobby, Selbstverwirklichung. Einen Hund zu halten, ist inzwischen in wohl 95% der Fälle reiner Egoismus.
Wenn man aber nun einen Hund nur aus Liebhaberei hält, dann sollte man ihn doch wohl auch so lieb haben, dass man sein Wohlbefinden in den Vordergrund stellt.

Dass man sich heutzutage viele Gedanken um den Hund macht, ihn verstehen möchte, mit Verstand erziehen möchte - daran kann ich nichts negatives finden. Verkopft zu sein, das möchte sich aber keiner vorwerfen lassen. Es klingt so abwertend. Bauchgefühl - das klingt viel schöner!
Vor allem aber einfacher. Bauchgefühl, das hat man einfach. Dafür muss man nichts tun. Nur darauf hören.

Irrtum! Bauchgefühl "hat" man nicht einfach. Leider... Wie oft ist man schon als Eltern des eigenen Menschen-Nachwuchses völlig ratlos und kommt mit reinem Bauchgefühl nicht weiter. Vom intuitiven, naturgegeben Verständnis für eine andere Spezies sollte man wirklich nicht so ohne weiteres ausgehen.

Bauchgefühl ist nichts anderes als die Kombination aus Begabung, Erfahrung und Wissen. Und dem Vertrauen in die eigene Wahrnehmung, und dem Mut, auch mal Fehler zu machen.

Begabung - ja, die haben tatsächlich manche Menschen für Hunde. Andere müssen zum Ausgleich etwas härter an den anderen Faktoren arbeiten.
Erfahrung - die bringt nur die Zeit. Wobei man natürlich locker auch 30 Jahre lang dieselben Fehler machen kann, ohne jemals dazuzulernen. Das ist dann nicht Erfahrung, sondern Starrsinn.
Und Erfahrung ist nicht gleich Erfahrung. Wer schon 10 Hunde hatte, aber immer Labrador Retriever oder Collies oder Pudel, der kann an seinem ersten Dackel durchaus grandios scheitern. Aber immerhin eine Menge Spaß dabei haben.
Für Neulinge fängt der Weg zum Bauchgefühl also mit dem Wissen an. Und davon ist heutzutage ja eine Menge verfügbar.

Natürlich kann man sich auch zu viel anlesen, sich zu sehr verwirren lassen von den tausend Tipps und Methoden da draussen. Vor allem kann man zu perfektionistisch sein, sich von den vielen Anleitungen dazu verleiten lassen, zu glauben, es gäbe eine Gebrauchsanweisung. Knöpfe, die man nur zu drücken braucht. Und wenn man die dann nicht findet (und zwar bitte sofort!) ist man frustriert. DAS ist das Problem. Nicht das Wissen an sich, sondern das mangelnde Verstehen, Hinterfragen und Filtern.

Hier kommt der letzte Punkt ins Spiel: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die eigene Wahrnehmung. Das fängt damit an, dass man Wissen nicht wahllos aufsaugen sollte, sondern sich stets fragen sollte: Passt das zu mir? Möchte ich das tun, nur weil ich es irgendwo gelesen habe? Kommt es mir sinnvoll vor, logisch? Was passiert mit mir und mit meinem Hund, wenn ich einen Tipp befolge? Fühlt es sich gut an?
Erstaunlicherweise berichten häufig verunsicherte Hundehalter, sie hätten sich gar nicht wohl damit gefühlt, ihren Hund mit Wasserflaschen zu bewerfen oder in eine kleine Box einzusperren - aber es stand halt so im Buch. Oder der Trainer hat es gesagt. Und dann macht man es halt, entgegen dem vielgepriesenen Bauchgefühl...

Fazit: Man kann nicht darauf bauen, dass einem das Hundeerziehungsbauchgefühl in die Wiege gelegt wurde, die meisten von uns müssen etwas dafür tun. Wenn es sich dann aber regt, dann sollte man doch auch mal hinhorchen.

Und im Zweifelsfall den Klugscheisser auf der Hundewiese freundlich lächelnd stehen lassen... 




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