Alles ganz natürlich, natürlich - Rüden müssen lernen, mit der Anwesenheit läufiger Hündinnen zurechtzukommen. Und eine tolle Gelegenheit dazu bietet das gemeinsame Training auf dem Hundeplatz! Sonst lernt er es nie.
Klingt doch einleuchtend.
Ich gehe trotzdem, wenn eine läufige Hündin zum Training kommt und mein Hund großes Interesse zeigt. (Also mal abgesehen davon, dass ich inzwischen das ganze Thema Training auf dem Hundeplatz mehr oder weniger ab acta gelegt habe, aber das ist eine andere Geschichte.)
Blacky ist nicht bei allen Hündinnen übermässig interessiert und nicht in allen Stadien der Läufigkeit. Aber wenn er es ist, dann wird es mit der konzentrierten Arbeit anstrengend. Klar geht das irgendwie - aber freudig und fluffig? Nicht wirklich.
Es kann ja jeder machen, was er will, aber ich habe schlicht keinen Bock, mir den Stress aufzwingen zu lassen. Mein Hund soll auf dem Hundeplatz spezielle Dinge lernen, und freudig mitarbeiten. Warum ich ihm den Spaß an der Arbeit mit mir durch Maßregelungen und Streß verderben soll, um eine ALLTAGS-Situation zu trainieren, von der ich im ALLTAG mehr als genug habe, leuchtet mir nicht ein.
Ich finde es auch weder "natürlich" noch sinnvoll oder rücksichtsvoll, wenn Hündinnenbesitzer meinen, Rüdenbesitzern super tolle Trainingsgelegenheiten bieten zu müssen, indem sie in Freilaufgebieten und auf hochfrequentierten Gassistrecken zur Stoßzeit unterwegs sind und am besten die läufige Hündin auch noch frei laufen lassen. Argument: "Die sagt dem schon Bescheid". Dadurch lerne der Rüde dann, dass man nicht alles belästigen darf, was gut riecht.
Mal abgesehen davon, dass das überhaupt nicht meinen Erfahrungen entspricht - Blacky wurde noch nie vermöbelt, dafür schon selbst verfolgt und bedrängt. Nicht jede Hündin lehnt Avancen ab - schon gar nicht in den Stehtagen. Und ob alle Hündinnenbesitzer wissen, was Stehtage sind, und vor allem WANN - ich würde mich nicht drauf verlassen.
Aber gehen wir mal davon aus, dass der Erziehungseffekt gegeben wäre. Ich mag trotzdem die Erziehung meines Hundes nicht anderen Hunden überlassen. Die Erziehung obliegt dem Besitzer, und nicht einer anderen Person und schon gar nicht einem anderen Hund. Sozialisierung mit anderen Hunden, ja, wichtig - aber das ist nicht Erziehung! Und mein Hund muss auch nicht auf Teufel komm raus mit jedem anderen Hund vergesellschaftet werden, Danke.
Natürlich gehört es zu einer Beziehung unter Hunden dazu, sie interagieren zu lassen. Wenn Hunde und die Besitzer sich sehr gut kennen und einschätzen können, ist es auch etwas völlig anderes, wenn Hunde zusammenleben, sowieso. Dann kann man die Hunde ja auch einschätzen - und weiß, was man ihnen zumuten kann und was nicht. Aber Fremdhunde? Gelegenheitsbekanntschaften? Einmal die Woche auf dem Hundeplatz?
Hunde sind - rassetypisch und individuell - sowohl physisch als auch in ihrem ganzen Verhalten so unterschiedlich, dass man überhaupt nicht vorhersehen kann, was passiert. Es also bewusst darauf anzulegen, dass ein Hund einen anderen "zurechtstutzt" oder "vermöbelt" oder generell was "unter sich ausgemacht wird", ist für mich einfach nur sinnlos und ein unnötiges Risiko für beide Hunde. Was jeder der Hunde daraus lernen wird, ist vor allem: Ich stehe alleine da. Ich muss mich selbst verteidigen. Mein Mensch lässt mich im Stich.
Das mögen manche natürlich finden. Der Wolf hatte ja auch... blabla.... So, wie mein Hund heute leben muss, ist es mir wichtig, dass er sich an mir orientiert, auf mich hört und sich auf mich verlässt. Natürlich oder nicht.
Frustrationstoleranz lernt ein Rüde sowieso nicht, indem er vermöbelt wird. Selbst wenn er von der Hündin ablässt, ist er dem hormonellen Chaos ja weiter ausgesetzt, hat nur noch mehr Frust. Es braucht einfach Übung und Gewöhnung und Zeit, um damit klar zu kommen. (Und im Gegensatz zur gerade modischen absoluten Anti-Kastrationshaltung bin ich der Meinung, dass das nicht immer ein erreichbares Ziel ist, aber das ist ein anderes Thema).
Was will ich eigentlich von meinem Hund, wenn er "sich daran gewöhnen" soll? Es geht ja nicht nur darum, dass er von der Hündin ablässt - sondern darum, dass er ansprechbar und aufmerksam bleibt, unter hoher Ablenkung. Da gilt - wie bei jeder Ablenkung und jedem Stressfaktor - es muss dosiert geübt werden, in kleinen Schritten, immer nur so viel, wie der Hund auch schafft, ohne dass es zu Fehlschlägen und Frust auf beiden Seiten kommt. Die Situation muss positiv besetzt werden und der Hund in die Lage versetzt werden, sich immer wieder zu entspannen.
Regel Nummer 1 bei Stressauslösern: Anfangs nur kurz in der Situation bleiben. Langsam steigern. Nur so viel verlangen, wie der Hund leisten kann.
Erkennen können, ob der Hund noch ansprechbar ist.
Den Hund einer Stresssituation einfach nur auszusetzen, ohne all das zu berücksichtigen, macht es meist schlimmer - denn durch Maßregelungen und Einwirkung auf den völlig abgelenkten Hund packt man noch eine Ladung Frust und zusätzlichen Stress oben drauf.
Die Situation "läufige Hündin auf dem Hundeplatz" kann also eine prima Übungsmöglichkeit sein - WENN man sich tatsächlich dazu nutzt, sprich: sich nebendran setzt und nur an der Ansprechbarkeit und Entspannung des Rüden arbeitet. Und ggf. bereit ist, nach 5 Minuten nach Hause zu gehen. Wenn man tatsächlich sonst nie mit läufigen Hündinnen konfrontiert wird, sollte man die tolle Gelegenheit nutzen.
Ich habe fast das ganze Jahr lang irgendwo in der Nachbarschaft eine läufige Hündin und Übungsgelegenheit genug. Ganz umsonst und ohne extra hinzufahren. Auf dem Hundeplatz möchte ich eigentlich das tun, wozu ich auf den Hundeplatz gefahren bin...
Mir persönlich reicht es völlig, dass mein Hund einer läufigen Hündin nicht hinterhergeht, sich abrufen lässt, sich nicht festschnüffelt, nicht jault und frustet zu Hause und mit der Anwesenheit von ihm gut vertrauten Hündinnen auch zurechtkommt, wenn diese läufig sind.
Ihm stundenlang eine läufige Hündin vor die Nase zu setzen und dabei noch konzentrierte Mitarbeit zu verlangen, finde ich nicht erstrebenswert. Und nicht nötig.
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