Will nicht!




Wenn sich Hundebesitzer über ihren Hund beschweren, dann meist, weil der irgendwas nicht will. Will nicht kommen, will nicht hören, will nicht sitzen, will nicht ruhig sein.

In Wahrheit ist "Will Nicht" für einen verschwindend geringen Teil der Probleme und Problemchen mit dem Hund verantwortlich. Da die meisten Menschen einem Tier ohnehin den freien Willen und die Fähigkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen, absprechen (ob zu Recht oder nicht), ist es umso erstaunlicher, dass "Will nicht" überhaupt in Erwägung gezogen wird.

Es lohnt sich also, das ganze Will Nicht-Thema mal genauer anzuschauen.


Es gibt nicht einen, sondern drei Gründe, wenn der Hund nicht tut, was er soll. Einer davon ist Will Nicht. Die anderen sind Kann Nicht und Versteht Nicht. Und die beiden sind viel VIEL wichtiger.

Versteht Nicht ist leicht zu verstehen :-)  Der Hund muss wissen und verstanden haben, was der Mensch von ihm erwartet, was ein Kommando bedeutet, was erlaubt ist und was nicht. Ganz einfach.

Versteht Nicht ist bei einem jungen oder nicht erzogenen/ausgebilden Hund natürlich der größte Verursacher von Problemen. Ob der Hund auf Kommando herkommen will oder nicht, kann man ja gar nicht beurteilen, wenn der Hund überhaupt nicht weiß, dass er herkommen soll.
Leider überschätzen viele Hundehalter gnadenlos die intellektuellen Fähigkeiten ihres Hundes - und seine Begabung fürs Rätselraten. Auf der anderen Seite unterschätzt man gern den Aufwand, den man betreiben muss, bis der Hund ein Kommando wirklich verstanden hat,  und das auch generalisiert - sprich, unabhängig von der Situation das gewünschte Verhalten ausführt.

Wie schlecht Hunde im Generalisieren sind, kann man sich als Mensch (wir sind Meister im Generalisieren) gar nicht vorstellen und versäumt daher, ein Kommando auch wirklich in allen möglichen Situationen einzuüben und zu festigen. 
Bevor man also sauer auf den Hund ist und ihm Will Nicht unterstellt - erst mal genau auf Versteht Nicht schauen. Dort findet man in den meisten Fällen die Lösung.


Oder man stösst auf den zweiten Störenfried, Kann Nicht.

Kann Nicht ist ein bisschen komplexer. Beim Pferdetraining beinhaltet Kann Nicht auch die vielen körperlichen Ursachen für Trainingsprobleme - fehlende Balance, schlecht sitzender Sattel, Reiterfehler, Schmerzen - die zu sogenannten Widersetzlichkeiten führen (und gern mit Will Nicht abgestempelt werden). Das spielt beim Hund eine geringere Rolle, wobei man auf das Thema Schmerzen immer ein Auge haben sollte, wenn der Hund sich plötzlich anders verhält.

Kann Nicht hat aber auch eine mentale Seite.
Als Trainer/Ausbilder/Hundebesitzer muss man dem Hund nicht nur geduldig erklären, was man eigentlich möchte, und die nötige Kommunikation etablieren - also Versteht Nicht bearbeiten - sondern man muss auch den Hund in den mentalen und emotionalen Zustand versetzen, in dem er auch verstehen und folgen kann.

Und da wird es knifflig.

Impulskontrolle, Frustrationstoleranz, Konzentration - das sind die Themen, um die es hier geht. Angst, Unsicherheit, Überforderung, Übererregung, aber auch z.B.der Hetz/Jagdtrieb oder der Sexualtrieb - das sind Dinge, die wenig mit Versteht Nicht, noch weniger mit Will Nicht, aber sehr viel mit Kann Nicht zu tun haben.

Ein junger Hund muss erst lernen, seine Impulse zu kontrollieren und mit Frust umzugehen. Dabei kann man ihm helfen, aber man muss ihm auch die nötige Zeit geben. Egal, wie gut man trainiert - das Gehirn braucht seine Zeit, um zu reifen. Impulskontrolle gilt - zumindest beim Menschen - als  Gradmesser für die Reifung des Gehirns, und es gibt einen guten Grund, warum Kinder erst mit 6 Jahren als schulreif gelten. Bei Hunden ist das im Grunde genauso. Es ist also völlig egal, wie gut der Hund das Kommando Sitz schon verstanden hat - man sollte darauf achten, ob er es in seinem momentanen emotionalen Zustand auch wirklich ausführen kann, bevor man ihm Will Nicht unterstellt. Und man muss es auch bemerken, wenn dem Hund gleich die Löffel ausgehen!

Ein Hund kann nichts lernen oder zuverlässig befolgen, wenn er permanent mit Adrenalin geflutet ist und nicht zur Ruhe kommt. Wenn er panische Angst hat. Wenn ihn erwachende Triebe und Bedürfnisse steuern und er noch nicht die nötige Selbstbeherrschung erworben hat, dem nicht nachzugeben.
Mit einem jungen Hund, einem Angsthund oder einem triebgesteuerten Hund muss man eben erst mal dafür sorgen, dass er überhaupt Kann, bevor man über Will Nicht nachdenkt.
Die Ruhe und Sicherheit geben, damit er sich wirklich entspannen kann und in den Ruhephasen Adrenalin abbauen kann. Stressabbau durch freie Bewegung ermöglichen. Das Leben so managen, dass er zwar Reizen oder Angst-Auslösern begegnet und lernt, sich erfolgreich damit auseinanderzusetzen - andererseits aber nicht davon übermannt wird.

Kann Nicht ist - je nach Hund - oft die größere Herausforderung für den Halter als Versteht Nicht. Kann oder Kann Nicht ist die Voraussetzung für alles andere, aber wird oft überhaupt nicht wahrgenommen.
Wenn der Hund schon vor Aufregung überschnappt und bellt, wird er noch angeschrieen und mit Gegenständen  beworfen - klar, davon wird die Aufregung ganz sicher besser. Selbst, wenn das Bellen dadurch abgestellt wird, die Ursache, der emotionale Zustand des Hundes, der ihn überhaupt zum Bellen gebracht hat - der bleibt unerkannt und unbearbeitet. Nicht gut, denn das rächt sich an anderer Stelle. Und selbst wenn es "funktioniert" - will man wirklich den Hund in Aufregung, Angst vor Wurfgeschossen und emotionaler Instabilität alleine lassen? Ich hoffe, nicht.

Oder der Hund rennt wie ein Verrückter und hört und sieht nichts mehr - das ist dann auch wirklich so: ein Kann Nicht  -  und kein Will Nicht. Es dauert, bis man lernt, wie man seinen Hund aus einer hohen Erregungslage herausholt und ansprechbar macht. Und es dauert, bis der Hund lernt, sich zu beherrschen.
Es hat ja auch wenig Sinn, alle Auslöser von Aufregung zu vermeiden. Oft genug hängen Spaß und Überschnappen sehr eng zusammen - da muss man eben herausfinden, wo der Grat verläuft. Und wenn es um Angst und Unsicherheit geht, ist vorsichtige Annäherung sicherlich der bessere Weg - sonst kann man bald nicht mehr vor die Tür.

Es gibt - leider - eine Menge Hunde, die ihr Leben lang am Kann Nicht scheitern. Daran ist meiner Meinung nach schlicht die moderne Hundezucht schuld, bei der Wesensfestigkeit einfach nicht mehr die entscheidende Rolle spielt.

Ein arbeitender Jagd- oder Hütehund ist nicht deshalb für die Arbeit geeignet, weil Jagd- oder Hütetrieb besonders stark ausgeprägt sind, sondern, weil er kontrollierbar ist.  Ein Hund, der sich nicht beherrschen kann, kann nicht ausgebildet und eingesetzt werden und wird aus der Gebrauchshundezucht verschwinden. Aber in der Showlinie ist das ja kein Problem. Ein triebstarker Hund, dem die Selbstkontrolle fehlt, ist nun aber schlicht und einfach ein wandelndes Kann Nicht. Genauso, wie ein schlecht sozialisierter Hund. Oder ein Hund, der einfach im komplett unpassenden Umfeld lebt - sei es der Herdenschutzhund in der Stadt oder der Kleinhund, der auf der Hundewiese von den großen gemobbt wird und in ständiger Angst lebt.

Die erste Frage, wenn's nicht rund läuft muss also immer sein: Kann er nicht? Und dann: Versteht er überhaupt? Und dann, erst dann .......................     ................................  ....     .....................       ......... .........................     ........................ dann kommt: Will er vielleicht einfach nicht?

Wenn man also tatsächlich, ehrlich und gerechtfertigt nach genauem Hinsehen behaupten kann: Der Will Nicht!! dann ist das eigentlich ein Grund zum Feiern. Denn das bedeutet, man hat sich durch die großen Herausforderungen Kann Nicht und Versteht Nicht hindurchgearbeitet.

Man hat den Hund in einen stabilen, gesunden emotionalen Zustand versetzt und eine funktionierende Kommunikation aufgebaut. Das heisst, man hat 99 % der vorhandenen Hindernisse aus dem Weg geräumt. Was jetzt bleibt, ist Will Nicht - und da kann man ganz viel machen, vor allem mit Motivation und positiver Verstärkung oder ggf. auch "aversiv" - mit einem Anmotzen, Brüller, Leinenruck, was weiß ich, wenn es "nicht verhandelbare" Sachen sind.
Denn der Hund hat ja verstanden, was er tun soll, oder? Dann, und erst dann, ist der Einsatz einer Strafe unter Umständen sinnvoll. Wenn überhaupt. Bei Will Nicht kann man schon mal sagen: Aber ich will und basta...  Ob man straft oder nicht, ist im Grunde bei Will Nicht eine moralische Frage, die jeder für sich beantworten muss. Bei Kann Nicht und Versteht Nicht sind Strafen dagegen schlicht kontraproduktiv, man erreicht nichts damit und macht es nur schlimmer.

Tja, und wenn der Hund jetzt immer noch nicht will - ja, dann will er vielleicht nicht. Dann sollte man sich fragen, ob das, was er nicht will, etwas ist, was eben sein muss (der Rückruf z.B.).
Oder etwas, das ich halt will - einfach, weil ich es will. Es kann schon sein, dass ein Hund das enge Fußlaufen einfach nicht mag. Oder dass ihm Agility keinen Spaß macht. Und dann muss man sich eben entscheiden, ob man das Will Nicht seines Hundes nicht auch mal gelten lassen kann.

Wieviel Will Nicht in jedem Tier oder Mensch steckt - das ist höchst individuell. Blacky hat fast gar  kein Will Nicht. Bonni (genau wie ich) hat jede Menge davon. Ihre Willensstärke hat aber auch die andere Seite der Medaille - nämlich auch eine große Selbstbeherrschung, Unerschrockenheit, Mut  und Unabhängigkeit von anderen Pferden, was Bonni zu einem sehr sicheren, verlässlichen Pferd macht. Aber eines, mit dem ich regelmässig diskutieren muss.
Mit Blacky muss ich dagegen gar nicht diskutieren - aber bei ihm muss ich aufpassen, dass er nicht zu aufgeregt wird, um mich wahrzunehmen. Und er hätte auch zum unsicheren Kläffer werden können, wenn er als Junghund zu wenig Sicherheit bekommen hätte, vor allem an der Leine.

Und so muss man für jeden Kandidaten den richtigen Weg finden -  die indivuelle Balance zwischen Kann, Versteht und Will Nicht ist der Grund, warum es eben keine Patentrezepte gibt.

9 Kommentare:

  1. Das ist einer der besten Artikel, die ich in der letzten Zeit gelesen habe und der mir aus der Seele spricht. Ich komme ja auch aus der Pferdeszene und in der Tat, da steht KANN NICHT wirklich ganz oben...

    Respekt für diese grandiose Zusammenfassung!

    LG Andrea mit Linda

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  2. Wirklich eine großartige Zusammenfassung! Darf ich bei Gelegenheit bzw. in der nächsten hitzigen Diskussion hierher verlinken?

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  3. Ich hab's schon verlinkt und geliked und was nicht alles. Ich finde es großartig! Es kann sicher vielen helfen!
    Mehr davon ;-)
    Karin

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  4. Super! - Auch ich würde gerne darauf verweisen. Mögen diese Erkenntnisse sich weit und zügig verbreiten ...

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  5. Vielen, vielen, vielen Dank für diese Zeilen, die mir einfach nur aus dem Herzen sprechen. Man muss alle Hundebesitzer (Tierbesitzer) unbedingt immer wieder auf dieses Missverständnis hinweisen und dafür sensibilisieren, dass ein Tier eben keine Maschine ist, sondern eben genetische Veranlagungen hat, die es zu gewissen "Handlungen" zwingt, die man dann eben verstehen und annehmen muss. Wir müssen dann unser "Handling" anpassen und nicht den Hund mit Gewalt und unfairen Methoden zu etwas zwingen, das ihm gar nicht entspricht.

    Mir tut es heute noch im Herzen weh, wenn ich zurück denke, was unser erster Hund aus Nichtwissen unserer Seits und alten Erziehungsmethoden in der Hundeschule zum Teil über sich ergehen lassen musste. Und dann wunderten wir uns noch, warum dieser Hund nur so "STUR" ist. Gerne würde ich mit ihm heute nochmals ganz von Vorne anfangen. Dafür werde ich heute nicht mehr müde, die Leute immer wieder für dieses Thema zu sensibilisieren.

    Das sind wir unseren treusten vierbeinigen Freunden einfach schuldig!!!!

    Liebe Grüsse aus der Schweiz

    Corinne Koller mit dem über alles geliebten lockigen Inuk

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  6. Ich ergänze um folgendes Sprichwort:

    "Wenn ein Hund nur darf, wenn er soll, aber nie kann, wenn er will, dann mag er auch nicht, wenn er muss...
    Wenn er aber darf, wenn er will, dann mag er auch, wenn er soll, und dann kann er auch, wenn er muss!" (Graffiti am Berliner U-Bahnhof)

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  7. Ein wunderbarer praxisnaher Artikel! Kann man die Fragestellung vielleicht auch auf Lebenspartner anwenden, die sich querstellen, wenn die Partnerin ein Hundchen haben will? Vielleicht versteht er gar nicht, dass er damit eine selten kostbare Chance verpasst, ihr einen Herzenswunsch zu erfüllen? Oder kann er nicht, weil er unbewusst Konkurrenz fürchtet und eine Dreier-Beziehung ihm Angst macht? Oder will er einfach (noch) nicht, weil ja schließlich der Herr im Haus bestimmen soll, was abgeht bzw. hinzukommt?

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Danke! Ich werde den Kommentar so bald wie möglich lesen und freischalten.